Zeiträume aus Gips

Mittelalter und Barock

Die Alten Römer haben das Wissen um den Gips und seine Verarbeitung in das Gebiet nördlich der Alpen gebracht, jedoch ging es in den Wirren der Völkerwanderung zunächst noch einmal verloren. Erst ab dem 11. Jahrhundert nimmt der Gebrauch von Gips mit dem Baustil der Romanik wieder zu und hat sich seitdem dauerhaft in der europäischen Baugeschichte etabliert.

Zu den frühen Anwendungen gehört zum Beispiel eine Vorform des heutigen faserverstärkten Gipses: Das Material wurde mit Zumischungen von Stroh oder Pferdehaaren „bewehrt“ und dann für das Ausfachen von Fachwerk eingesetzt. Außerdem tritt Gips ab dem frühen Mittelalter als Bindemittel für Putz- oder Mauermörtel auf. Weitere Zeugnisse dieser Zeit sind plastische Dekorelemente der Architektur sowie die Gestaltung von Gräbern und Denkmälern. In der ehemaligen Festhalle der Kaiserpfalz von Tilleda in Sachsen-Anhalt (erbaut im 11. Jahrhundert, aufgegeben ab 1420) konnten zudem Reste eines Gips-Estrichbodens nachgewiesen werden.

Der im Mittelalter verwendete Gips wird auch als Hochbrandgips bezeichnet und weist gegenüber dem heutigen Material einige Besonderheiten auf. Es wurde meist bei sehr hohen Temperaturen gebrannter sowie relativ grob gemahlener Gips eingesetzt und der Mörtel mit geringer Wasserzugabe angerührt. Der Gips besaß dadurch nur wenige Poren und zudem eine vergleichsweise hohe Rohdichte, wodurch er druckfest und in der Folge auch belastbar und dauerhaft war. Mittelalterlicher Hochbrandgips lässt sich fast mit heutigem Normalbeton vergleichen und wurde sogar als Gips-Außenputz eingesetzt, in Paris noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Der Grund dafür dürfte auch in der ausgezeichneten feuerhemmenden Wirkung des Gipses zu suchen sein. Holzwände oder Fachwerkkonstruktionen aus Holz konnten mit einem Gipsputz den damals gefürchteten Stadtbränden deutlich länger widerstehen. In einer Feuerverordnung Ludwig XIV. wurde 1667 – unter dem verheerenden Eindruck des Großen Brandes von London im Jahre 1666 – der Gipsüberzug für Fachwerkhäuser gefordert.

Diese Zeit ist schon dem Stil des Barock zuzurechnen, der mit seinem ausgeprägten Bedürfnis nach dekorativen und räumlich-ornamentalen Architekturelementen Gipsbauweisen wesentliche Impulse gab. Speziell bei den plastischen Stuckarbeiten mit Gips wurde eine bis dahin nicht gekannte Kunstfertigkeit und Feingliedrigkeit erreicht. Außerdem erlebte der Stuckmarmor seine erste große Blüte. Dabei handelt es sich um eine Marmorimitation aus Gips, die in der Vielfalt der Farben und der Lebendigkeit der Aderung echtem Marmor oft sogar überlegen ist. Lediglich beim Anfassen verrät das Fehlen der üblichen „Marmorkälte“ den Unterschied.

In etwa dieselbe Zeit fällt auch eine ausführliche Beschreibung des Berufs eines „Alabasterers“ (1698 durch Christoff Weigel), der aus ausgesuchten Gipssteinen Kannen, Krüge, Schatullen und Dosen drechselte, die schon bei Griechen und Römern als „Alabasterne Geschirre“ bekannt waren.


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